Auf dem Weg zur sozialen Integration - Podium des Fritz-Erler-Forums diskutierte Europapolitik
"Es dauert zwei Jahre, bis unsere Ergebnisse in den nationalen Parlamenten ankommen". Evelyne Gebhardt, seit 14 Jahren Abgeordnete des europäischen Parlaments beschreibt die mühsamen Entscheidungswege der europäischen Politik zwischen Parlement, den 27 Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission. Unter dem Motto "Kräfte bündeln für ein soziales Europa" hatte das Fritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Diskussion in den Konstanzer Wolkensteinsaal eingeladen.
Gebhardt wirkte keineswegs resigniert, als sie das schwierige politische Geschäft auf europäischer Ebene beschrieb. Doch den Zuhörern wurde deutlich, wie die Verschränkung von Zuständigkeiten die Zuordnung politischer Verantwortung nahezu unmöglich macht. Schon lange gibt es dafür einen Begriff: "Politikverflechtung".
Kein Wunder, dass auch Prof. Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion große Hoffnungen in den Vertrag von Lissabon setzt, der ein Strukturproblem der Union anpackt. Künftig fällt das Einstimmigkeitsprinzip weg, das die EU in vielen Politikfeldern der Erpressung einzelner Mitgliedsstaaten ausgesetzt hatte. Das vom Volk gewählte Parlament erhält dagegen mehr Rechte.
Dadurch sehe er bessere Chancen, die bislang zu stark kapitalorientierte europäische Integration durch verbesserte Zusammenarbeit auf sozialem Gebiet zu ersetzen. Denn eine starke Europäische Union sei die einzige Chance gegen „neoliberale Globalisierungstrends“, so Weisskirchen. Die Chancen der EU als regionale, zivile Macht würden von außen besser gesehen, als innerhalb der Union selbst.
Schriftliche Arbeitsverträge für alle, Arbeitssicherheit, Mindestlöhne, Dienstleistungsrichtlinie: Gebhardt benannte Erfolge einer sozial ausgerichteten europäischen Politik. Nicht immer sei die europäische Ebene für bürokratische Auswüchse wie bei der Arbeitssicherheit verantwortlich. So habe der nationale Gesetzgeber den verpflichtenden Einsatz von Gabelstaplern für Briefträger festgelegt.
Die verschiedenen europäischen Sozialmodelle seinen so bunt, „die kann man nicht vereinheitlichen“, sagte der Gewerkschafter Frank Zach. Es mache auch keinen Sinn EU-einheitliche Mindestlöhne festzusetzen. Faktisch gebe es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Gerade den neuen Mitgliedsländern helfe die Union, wirtschaftlich aufzuholen. Daher gebe es dort höhere Wachstumsraten und somit mehr Spielraum für Lohnsteigerungen als in Deutschland oder Frankreich.
Zach berichtete von der europäischen Zusammenarbeit der Gewerkschaften und von Konzernbetriebsräten. Doch oft scheitere diese an Sprachbarrieren. Vermittlung von Sprachkompetenz sei daher europaweit eine der wichtigsten bildungspolitischen Herausforderungen, gerade im beruflichen Schulwesen.
Auch Moderator Peter Friedrich berichtete von einem Erfolg europäischer Betriebsräte: Weil sich die Arbeitnehmervertretungen im Nestlé-Konzern nicht gegeneinander ausspielen ließen, entstanden im Singener Maggi-Werk die produktivsten Arbeitsplätze Europas.
Die Diskussionsrunde fand an einem europapolitisch wichtigen Datum statt, erinnerte Dr. Felix Schmidt vom Fritz-Erler-Forum einleitend. Am 9. Mai 1950 veröffentlichte der französische Außenminister Robert Schuhmann seinen Vorschlag zur Montanunion, dem Grundstein der europäischen Einigung.